Flicken ist eine aus der Not geborene provisorische Praxis, ein prekärer Umgang mit zerbrochenen Gegenständen und Körpern, oft dargestellt als eine von (armen) Frauen ausgeübte Tätigkeit, die zu keinem Werk führt.
Das Forschungsprojekt möchte indessen unterhalb des maximalen Anspruchs der Restitution und Reparation das Flicken als eine Umgangsweise mit dem Kaputten beobachten und analysieren, die nicht so sehr auf die Wiederherstellung des Unversehrten ausgerichtet ist, sondern vielmehr die Hinwendung zu den Bruchstellen, Narben, Nahtstellen zum Anlass werden lässt, etwas anderes daraus zu machen. Hierfür soll eine heterogene Reihe von Szenen des Flickens in Literatur, Kunst und Philologie zusammengestellt und zusammen gelesen werden; es sind Szenen, die sich eher still und weitestgehend ohne Konzept am Rande der ästhetischen, poetischen, zuweilen aber auch der wirtschaftlichen und sozialen Sphäre entfalten. Ziel des Vorhabens ist dabei, das untererforschte erkenntnistheoretische, poetische und ethische Potenzial dieser armen und weitestgehend negativ konnotierten Praxis zu bergen und für ein kritisches Konzept der Reparation fruchtbar zu machen.
PROF. DR. DR. JUDITH KASPER
CURRICULUM VITAE
Judith Kasper ist seit 2018 Professorin für Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft an der Goethe Universität Frankfurt. Nach ihrem Studium der Germanistik und Romanistik an den Universitäten Nizza, Göttingen und Freiburg, promovierte sie in Freiburg in der Französischen Literaturwissenschaft mit einer Arbeit zum Vergessen bei Proust, Perec und Barthes; darauf folgte eine zweite Promotion in der Philosophie zum Begriff der Heimat im 20. Jahrhundert bei Benjamin, Schmitt, Heidegger, Celan und Bachmann. Nach einem DAAD-Lektorat in Paris arbeitete sie in unterschiedlichen Funktionen an den Universitäten Bologna, Verona und Venedig. Von 2009 bis 2018 war sie wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Romanische Philologie der LMU München. 2015 habilitierte sie in Potsdam mit einer Arbeit zum Konzept des „traumatisierten Raums“ bei Freud, Levi, Kertész, Sebald und Dante. Nach Vertretungen von Professuren in München und Frankfurt/Oder wurde sie 2018 nach Frankfurt am Main berufen. Ihre Forschungsschwerpunkte liegen an der Schnittstelle von Philologie und Psychoanalyse, im Bereich der Literaturtheorie, den Holocaust Studies, der Lyrik- und Übersetzungstheorie. Seit 2017 ist sie Mitherausgeberin von RISS. Zeitschrift für Psychoanalyse.