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NEOCLASSIC: Von einer musikalischen Erfahrungspoetik der Reparatur

Das Projekt untersucht die Neoclassic, ein Musikgenre, das sich seit Beginn des neuen Jahrtausends zwischen Klassik, Ambient, Minimal Music und Post-Rock positioniert. Die Neoclassic, die sich durch satztechnische Schlichtheit, einen getragenen Gestus und die Betonung der Stille auszeichnet, hat der zeitgenössischen (Kunst-)Musik ein so breites und diverses Publikum erschlossen wie nie zuvor. Durch die Einbeziehung von visuellen Medien, Postproduktionseffekten, innovativen Konzertformaten und neuen Rezeptionsmöglichkeiten durch Streamingdienste nehmen die Komponisten zudem häufig Bezug auf aktuelle Themen, von der Flüchtlingskrise über den Klimawandel bis hin zu den Herausforderungen neuer Technologien. Dabei verzichtet die Neoclassic auf den scharfen, auf politischen und ästhetischen Bruch zielenden Gestus der musikalischen Avantgarde der Nachkriegszeit. Statt auf Schock- und Selbstverlusterfahrungen setzt sie auf eine dialogische Wechselwirkung zwischen dem musikalischen Ereignis und den Wahrnehmungskategorien des Hörers unter dem Vorzeichen einer Ethik der Sorge. Das Projekt untersucht die Neoclassic aus der Perspektive einer Erfahrungspoetik der Reparatur: Am Beispiel ausgewählter Werke von zwei Hauptvertretern des Genres – Max Richter und Jóhann Jóhannsson – soll herausgearbeitet werden, wie diese Musik hinter ihrer satztechnischen Einfachheit das Reparaturkonzept in der Vielschichtigkeit seiner theoretischen Implikationen und in der Ambivalenz seiner gesellschaftlichen Umsetzungsversuche artikuliert, trägt und zu einem nicht unwesentlichen Teil eigenspezifisch gestaltet.

DR. HABIL. MAURO FOSCO BERTOLA
CURRICULUM VITAE

Mauro Fosco Bertola ist Privatdozent für Musikwissenschaft an der Universität Tübingen. Nach einem Studium der Philosophie in Italien (laurea) mit einer Arbeit zur Moralphilosophie von Nicolas Malebranche promovierte er 2012 in Musikwissenschaft an der Universität Heidelberg über die Konstruktion kollektiver Identitäten in musikwissenschaftlicher Forschung und Rundfunk in Italien und Deutschland (1890–1945). Er war wissenschaftlicher Mitarbeiter am Musikwissenschaftlichen Seminar Heidelberg, Postdoktorand am DFG-Graduiertenkolleg „Europäische Traumkulturen“ an der Universität des Saarlandes sowie Lektor für zeitgenössische Musik bei Breitkopf & Härtel. Von 2022 bis 2025 leitete er ein DFG-gefördertes Projekt zum Traum im zeitgenössischen Musiktheater. 2025 habilitierte er sich mit einer Arbeit über Traumdarstellungen bei Kaija Saariaho und Salvatore Sciarrino. Seine Forschungsschwerpunkte liegen im Bereich des zeitgenössischen Musiktheaters, in der Wechselwirkung zwischen Musik und Philosophie sowie zwischen Musik und Film.