Für viele Marsch-Araber:innen haben sich in den letzten Jahrzehnten Krieg und Ausbeutung zur ständigen Lebensbedingung entwickelt. Der alltägliche Kampf gegen Dürre, Müll, verschmutzte Luft, Staub und Giftstoffe sind prägende Elemente dieser Kriegsökologien. Auf der Grundlage ethnografischer Feldforschung im mesopotamischen Marschland an der Grenze zwischen dem Iran und dem Irak untersucht dieses Projekt die Einstellungen, Empfindungen, kollektiven Vorstellungen und die Wissensproduktion im Zusammenhang mit der Frage, was angesichts der Kriegszerstörungen und des durch Sanktionen verursachten Niedergangs als Reparation gilt. Es berücksichtigt die atmosphärische Umgebung – die Luft, den Staub und die Dürre –, um ökologische Reparationen nicht nur als Maßnahme der Anpassung zu theoretisieren, sondern vielmehr im Sinne eines atmosphärischen Problemraums, der die Grenzen ökologischer Ungerechtigkeit absteckt und die Art und Weise anerkennt, wie die betroffenen Gemeinschaften kollektive Wege des Zusammenlebens finden. Ich werde zeigen, wie die ölreichen Marschgebiete in den letzten Jahrzehnten zu einem Laboratorium für ökologische Experimente geworden sind, die von Kriegszerstörung und dem Druck von Sanktionen geprägt sind. In diesen Gebieten kooperieren und konkurrieren Ingenieur:innen, Wissenschaftler:innen, Umweltaktivist:innen, Landwirt:innen und Händler:innen miteinander in der Bekämpfung von Staubstürmen. Staub ist der Vektor für neue Lebensformen, die im Schatten von Konflikten und klimatischen Umwälzungen entstanden sind. Indem er die Luft als gefährliches Element sichtbar macht, vermischt er sich mit den Subjektivitäten des Atmens und mit explorativen Politiken.
DR. SANA CHAVOSHIAN
CURRICULUM VITAE
Sana Chavoshian ist eine historische Anthropologin und Umweltanthropologin, die seit 2021 am Leibniz-Zentrum Moderner Orient in Berlin arbeitet. Zuvor arbeitete sie fünf Jahre lang am Forschungskolleg „Multiple Secularities“ der Universität Leipzig, wo sie auch promoviert wurde. Sie erforscht, wie Menschen in der Zeit nach Krieg und Sanktionen mit „unreinen“ Lebenswelten experimentieren und zurechtkommen, ihnen gedenken und sie politisieren. Sie hat mehrere Jahre Erfahrung in der Durchführung von ethnografischer Feldforschung in Kriegsgebieten im Iran und im Irak. Ihre Schwerpunkte sind Kriegsökologie, Reparationsdiskurse und -praktiken, Atmosphären, die Anthropologie des Islam und materielle Religion. Ihr Buch Women, Martyrs and Stones in Iran’s Post-War Politics (Edinburgh University Press) wird 2025 erscheinen und untersucht, wie die Mütter und Ehefrauen der Märtyrer des Iran-Irak-Krieges (Erster Golfkrieg) den gefallenen Männern in Andachtskreisen, in Träumen, auf Friedhöfen und bei Pilgerreisen zu den einstigen Schlachtfeldern gedenken. Derzeit ist sie Co-Sprecherin der MENA-Region (Middle East and North Africa) in der Deutschen Gesellschaft für Sozial- und Kulturanthropologie.
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