Diese Arbeit untersucht einen bisher übersehenen Aspekt der Holocaustgeschichte in den Ghettos und Konzentrationslagern des nationalsozialistischen Europas: den Einsatz von Tanz in den genozidalen Strategien der Täter:innen sowie seine Rolle im Überlebenskampf der Opfer. Indem Tanz als Mikroperspektive historischer Beobachtung genutzt wird, erforscht das Projekt die Transformationen von Körper, Geist und Beziehungen während des Holocaust. Damit sollen sowohl die Prozesse der Brutalisierung europäischer Gesellschaften sichtbar gemacht werden als auch die Selbstermächtigung und den Widerstand, die der Tanz ermöglichte. Tanz wird dabei als soziokulturell verortete Praxis verstanden: rhythmische Sprachen, ausdrucksstarke und kreative Bewegungen, choreografierte Aufführungen und Inszenierungen von Tanzgruppen, die – individuell oder kollektiv, erzwungen oder heimlich – in den Räumen der Ghettos und Lager stattfanden. Die Untersuchung basiert auf bislang unerschlossenen schriftlichen, mündlichen und visuellen Archiven aus Europa, Israel und den Vereinigten Staaten. Durch die Verbindung von Emotionsgeschichte mit Tanz-, Bild- und Erinnerungsforschung trägt sie zu einer integrierten Holocaustgeschichte bei und eröffnet zugleich eine Reflexion über Kunst und Körper unter Zwang. Damit wirft das Projekt neues Licht auf Kontexte extremer Gewalt sowie auf Phänomene von Widerstand und Resilienz im Europa der Mitte des 20. Jahrhunderts.
DR. LAURE GUILBERT
CURRICULUM VITAE
Laure Guilbert ist promovierte Historikerin des Europäischen Hochschulinstituts in Florenz und unabhängige Forscherin. Sie ist assoziiertes Mitglied des Centre d’histoire sociale des mondes contemporains der Université Paris 1 sowie des Institut Convergences Migrations am Campus Condorcet. Die Schwerpunkte ihrer Forschung liegen in politischer Geschichte, erzwungener Migration, kultureller Erinnerung und dem vergessenen Erbe der Tanzkulturen im Mitteleuropa des 20. Jahrhunderts. Ihre Feldforschungen und Arbeiten zur Oral History in Europa, den USA und Israel wurden von mehreren Stiftungen und Forschungszentren gefördert. Sie ist Autorin des Buches Danser avec le IIIe Reich: Les danseurs modernes sous le nazisme. Zudem gibt sie regelmäßig Kurse zur Geschichte der performativen Kunst an Universitäten und im Kulturbereich. Sie ist Mitbegründerin der Association des Chercheurs en Danse (aCD) und ihrer digitalen Zeitschrift Recherches en danse. Von 2002 bis 2018 war sie Herausgeberin der Veröffentlichungen der Pariser Oper im Bereich Tanz. Im Jahr 2024 kuratierte sie die Ausstellung „Paula Padani: La danse migrante: Hambourg, Tel-Aviv, Paris“ im Musée d’Art et d’Histoire du Judaïsme in Paris.
