Rückwärtslaufende oder in sich rückläufige Prozesse werden in der Regel mit Regression, Zurücknahme oder Ungeschehenmachen assoziiert. Damit ist jedoch das Wesen solcher Prozesse nur unvollständig erfasst, wie ein Blick auf retrograde literarische Formexperimente aus England, Deutschland, Frankreich und Lateinamerika zeigt. Hier sind es insbesondere die auch ‚Rückläufer‘ genannten Palindrome, aber auch Spielarten der Retronarration, die die Semantik des Präfixes „re“- im Sinne von „Rück“- und „Wieder“- ausleuchten und damit Fragen von Reparation oder auch Restitution adressieren. Entsprechend verschränken solche Formexperimente Aspekte von Rücklauf und Wiederherstellung und irritieren raumzeitliche Komponenten, die Motivierung von Ereignissen und ihre kausalen Zusammenhänge.
Das Projekt untersucht die Potenziale retropoetischer Verfahren: Kehren solche Verfahren zeitresistente und in Erfahrung schwer zu transformierende Phänomene hervor? Legen sie in der rückläufigen Durchquerung von traumatischen oder katastrophischen Ereignissen reparative Strategien frei? Stehen also retrograde Operationen als Teil kultureller Semiosis im Zeichen der Reparatur oder umgekehrt im Zeichen des Irreparablen?
PROF. DR. MONA KÖRTE
CURRICULUM VITAE
Mona Körte ist seit 2018 Professorin für Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft und Europäisch-Jüdische Literatur an der Universität Bielefeld. Zuvor leitete sie von 2016 bis 2018 mit Daniel Weidner den Programmbereich Weltliteratur am Leibniz-Zentrum für Literatur und Kulturforschung Berlin (ZfL). 2015 war sie Distinguished Max Kade Visiting Professor an der University of Virginia in Charlottesville und erhielt außerdem ein einjähriges Fellowship am Herbert D. Katz Center for Advanced Judaic Studies, University of Pennsylvania. Am Alfried Krupp Wissenschaftskolleg Greifswald war sie Fellow von 2013 bis 2014. Sie hatte Gast- und Vertretungsprofessuren an der Universität Konstanz, der Universität Graz und an der TU Chemnitz inne. Seit 2023 ist sie im Fachbeirat der Richard M. Meyer Stiftung, seit 2017 im wissenschaftlichen Beirat der Reihe „Exil-Kulturen“ (Stuttgart: Metzler).